Nieder mit den digitalen Barrieren!
Text als Hörfassung: ▶️ Nieder mit den digitalen Barrieren.mp3 (12 min 53 s)
Originales Bild von Miriam Wagner, @xiammiax (Instagram)
Die Weiten des Internets bieten unendlich viele Möglichkeiten zur Teilhabe, zum Lernen und um sich auszutauschen. Allerdings lauern auch hinter jeder zweiten Ecke Hürden, die einige Menschen ausschließen können.
In den letzten Jahren habe ich einiges dazu gelernt, wie wir alle diese Barrieren möglichst gering halten können. Deshalb möchte ich an dieser Stelle meine Erfahrungen mit euch teilen.
Bitte bedenkt: Ich bin keine Kommunikationswissenschaftlerin, sondern betreue lediglich sehr viele verschiedene Social-Media-Kanäle und Blogs. Dieser Text ist also nur eine Sammlung von Tipps, kein abschließender professioneller Handlungsleitfaden.
Die Spielregeln für Bildbeschreibungen
Erste und wichtigste Regel: Eine Bildbeschreibung ist besser als keine Bildbeschreibung!
Viele fühlen sich unsicher, wie eine Bildbeschreibung am Besten formuliert werden kann und lassen sie deshalb oft weg.
Dabei sind sie für Menschen, die einen Screenreader nutzen, sehr wichtig um die Informationen, die über ein Bild transportiert werden, ebenfalls zu erhalten.
Deshalb hier eine kleine Checkliste mit den wichtigsten Punkten, auf die ihr achten könnt:
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Haltet eure Beschreibungen möglichst kurz. Eine zu detaillierte Bildbeschreibung kann den Fokus verzerren und frisst beiden Seiten nur Zeit.
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Verwendet keine Umschreibungen wie „Es ist eine Katze zu sehen“, sondern schreibt einfach „Eine Katze“.
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Bleibt neutral. Wertungen und Interpretationen sind hier fehl am Platz, die gehören in den Haupttext.
Negativbeispiel: „Die beste Sängerin des Abends singt eine berührende Ballade“
Besser: „Eine als weiblich gelesene Person an einem Mikrofon auf einer Bühne mit Band im Hintergrund“
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Erkennbare Emotionen könnt ihr trotzdem nennen.
Beispiel: „Ein Kind nimmt freudestrahlend einen Blumenstrauß entgegen“
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Wenn ihr Bilder von Personen beschreibt, nennt nicht nur ihren Namen.
Besser: „Angela Merkel formt mit ihren Händen eine Raute“, oder „Ein Portrait von Rosa Luxemburg“.
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Beschreibt jedes Bild. Auch wenn euer Bild im entsprechenden Post oder Text bereits erklärt wird. Schreibt lieber „Bild wie im Post“, als die Beschreibung weg zu lassen. Denn nur dann wissen die Nutzenden, was zu sehen ist. Ohne diese kurze Information bleibt das Bild nur wie ein „weißer Fleck“.
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Wenn auf eurem Bild Text zu lesen ist, nennt diesen in der Bildbeschreibung.
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Verwendet in eurem Alternativ-Text Farben, sie gehören zu Bildern dazu.
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Nutzt einheitliche und gängige Formen für das Gendern. Am häufigsten habe ich gelesen, dass sich der Inter- und der Doppelpunkt gut eignen, aber auch das Sternchen wird immer öfter gut erkannt.
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Sonderzeichen können von Screenreadern oft nicht erkannt werden, vermeidet sie deshalb nach Möglichkeit.
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Wo ihr keine Alternativtexte „über das Bild“ legen könnt, schreibt am Besten die Beschreibung unter das Bild in euren Text.
Wenn ihr noch mehr über Bildbeschreibungen lernen wollt, habe ich hier auch noch zwei weiterführende Links:
https://webaim.org/techniques/alttext/
Und wenn ihr Probleme habt, an Bildbeschreibungen zu denken, gibt es auf vielen Social-Media-Plattformen die Möglichkeit, sich durch Bots daran erinnern zu lassen.
Untertitel - Warum sie wichtig sind und trotzdem so wenige welche setzen
Mit Untertiteln könnt ihr eure Videos Menschen zugänglich machen, die (manchmal auch aus technischen Gründen) den Ton nicht oder schlecht hören können oder für die ihr nicht in ihrer Muttersprache sprecht.
Klingt also, als wären sie ein wichtiges Werkzeug, um Videoinhalte für viele einfach zugänglich zu machen, oder?
Nur leider werden Untertitel immer noch sehr selten gesetzt.
Einer Umfrage zur folge, die ich Anfang August auf meinem Mastodon-Account durchgeführt habe, geben nur 19% der Video-Schaffenden an, ihre Videos immer zu untertiteln. 26% untertiteln ihre Videos zumindest gelegentlich und über die Hälfte, 56%, geben an, gar keine Untertitel zu setzen.
Die oben beschriebene Umfrage
Auch ich muss gestehen, dass ich gerade bei den Videos, die ich nicht für mich privat aufnehme, es nicht immer schaffe, Untertitel zu setzen.
Einer der Hauptgründe in meinem Fall ist Zeitmangel. Im Vergleich zur Planung, dem Dreh, der Ton- und Videobearbeitung, ist das Untertiteln von Videos mit einem extrem hohen Zeitaufwand verbunden.
Je nachdem, ob es bereits ein fertiges Skript gibt oder der Text heraus gehört werden muss und wie deutlich und gut gesprochen wird, rechne ich persönlich zum Setzen von Untertiteln pro Minute Video 10 bis 40 min Arbeitszeit zum Untertiteln mit aegisub.
Wenn dann nebenbei ein zehnminütiges Video innerhalb von zwei Tagen fertig werden soll, fehlen die Ressourcen, einfach die im Schnitt rund 4 h Arbeitszeit für die Untertitel auch noch einzuplanen.
Diese Rechnung soll keine Ausrede sein, keine Untertitel zu setzen, sondern eine Erklärung dafür, warum viele oft keine Untertitel setzen.
Auch wird gern angegeben, dass die Untertitel von YouTube ausreichen würden. Also ist dieser Arbeitsaufwand überhaupt notwendig? Meiner Meinung nach ja. Die Untertitel bei YouTube haben immer noch Probleme bei undeutlicher Aussprache, Akzenten und Dialekten, erkennen nicht, wenn es im Hintergrund Musik oder Geräusche gibt, die wichtig sind, fügen manchmal verwirrende Satzzeichen ein und ähnliches. Empfehlenswertere Plattformen als YouTube, wie etwa PeerTube, generieren auch oft keine oder schlechtere Untertitel.
Mein Fazit zum Thema Untertitel: Setzt euch, wenn ihr Videos produziert, unbedingt mit dem Thema auseinander! Gute Untertitel sind ein sehr effektives Mittel, mehr Menschen an euren Videos teilhaben zu lassen.
Außerdem ist das Setzen von Untertiteln auch eine gute Möglichkeit, eure Inhalte nochmal zu überprüfen und kleine Fehler zu entdecken und helfen euch dabei, eure Sprache und euren Satzbau zu verbessern. Und am Ende sind sie auch nur Übung.
Content Warnings als Schutzschild auf Social Media
Kennt ihr die Möglichkeit Inhaltswarnungen, sogenannte Content Warnings, zu verwenden und eure Bilder in der Vorschau zu verwischen?
Auf zum Beispiel Mastodon könnt ihr Beiträge von euch, die Trigger (Faktoren, die Angst- oder Unwohlseinzustände bei anderen auslösen können) für andere Personen enthalten können, entsprechenend durch Content Warnings kennzeichnen. Dadurch wird eure gesetzte Warnung wie eine Überschrift verwendet und die Menschen, die eure Beiträge lesen, müssen diese erst öffnen, um den gesamten Inhalt zu sehen.
Mögliche Themen für Content Warnings können sein:
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Gewalt
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Selbstverletzendes Verhalten
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Krieg
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Augenkontakt
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Nahrungsmittel
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Nacktheit
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Sexuelle Inhalte
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Berichte über diskriminierendes Verhalten
Natürlich kommt es auch hier auf den Kontext an. Wenn ihr zum Beispiel auf einem Server seid, der sich ausdrücklich mit sexuellen Themen beschäftigt, müsst ihr nicht vor jedem etwas freizügigeren Bild eine Content Warning setzen. Oder wenn ihr regelmäßig Rezepte und Bilder von Essen postet, könnt ihr das auch in eurer Profilbeschreibung vermerken, damit Personen, die diese Inhalte nicht sehen wollen, euch stummschalten können.
Für was ihr wann eine Content Warning setzt, ist sehr von eurem persönlichen Fingerspitzengefühl und natürlich den Serverregeln abhängig.
Wenn eure Hauptthemen solche sind, die für andere einen Trigger darstellen, ihr aber nicht jedes Mal eine Content Warning verwenden wollt, könnt ihr auch durch die Verwendung von Hashtags eure Beiträge markieren. Zum Beispiel kann so durch die Nutzung des Hashtags #Food der Beitrag für Menschen mit einer Essstörung direkt gefiltert werden, wenn sie den Hashtag stumm gestellt haben. Ein weiteres Beispiel für die Filterung durch Hashtags ist die Verwendung der Hashtags #Augenkontakt oder #Eycontact für Bilder von euch, bei denen ihr direkt in die Kamera schaut. Diese können von Personen mit sozialen Phobien, bestimmten Angsttörungen oder Leuten, die einfach nicht so viele Selfies sehen wollen, gefiltert werden.
Leider lässt Twitter diese Funktion vermissen.
Mehr Aufmerksamkeit durch bewegte Bilder?
Viele kennen das Motto: Bilder ziehen mehr Aufmerksamkeit auf sich und letzendlich den dazugehörigen Beitrag. Die Steigerung davon sind kurze Animationen, Gifs und schnelle Bildwechsel auf Websites.
Für viele Menschen können solche schnellen Bildwechsel, zum Beispiel im Header einer Website, jedoch eine große Ablenkung sein. Das ist nicht nur eine Belastung für die Betroffenen, sondern auch das genaue Gegenteil von dem, was ihr erreichen wollt. Eine Möglichkeit, diese Ablenkung zu vermeiden und trotzdem Slideshows und wechselnde Banner zu verwenden, ist einen kleinen Hinweis-Button einzubauen, der erst für die Bildwechsel angeklickt werden muss.
Auch das automatische Abspielen von GIFs und Videos kann zu Irritationen führen. Die einen nervt es nur, für andere können besonders extrem schnelle Bildwechsel oder gar stroboskop-artiges Licht zu epileptischen Anfällen oder anderen ungeplanten Reaktionen, wie eine kurzzeitige Störung der räumlichen Wahrnehmung, Schwindelgefühlen oder Übelkeit, führen.
Einfache Sprache ist gar nicht so einfach
Puh, das war schon ein richtig langer Text mit jeder Menge Infos! Geht das nicht auch kürzer und leichter verständlich? Einfach einfacher?
Jain.
Damit Texte von möglichst vielen Menschen verstanden werden können, sollten sie in möglichst einfacher Sprache geschrieben sein. Damit ist nicht Jugend- oder Umgangssprache gemeint, sondern das Vermeiden von zu vielen Fremdwörtern, das Verwenden von möglichst klaren und kurzen Satzstrukturen, bildhafter Sprache mit Beispielen und kurze Texte.
Da dass gar nicht so einfach ist und auch mir sehr schwer fällt, kann ich euch allen nur ans Herz legen, euch gut zu überlegen, wer die zielgruppe für eure Beiträge ist und eventuell mehrere Versionen eurer Texte zu veröffentlichen. Manche Sachverhalte müssen für eine detaillierte Betrachtung in Fachsprache beschrieben werden. Um sie aber mehr Menschen zugänglich zu machen, könnt ihr auch eine zweite Version in einfacher Sprache schreiben, die auf die wichtigsten Punkte eingeht.
Dieses Vorgehen wird zum Beispiel bei Wahlprogrammen genutzt, die es zum Teil auch in einfacher Sprache gibt.
Bietet eure Inhalte nach Möglichkeit multimedial an
Vielleicht habt ihr es oben im Beitrag gesehen, ich biete meine Blogbeiträge auch als Hörversion an.
Das mache ich, weil meine Beiträge immer sehr lang sind und es eine ganz schöne Herausforderung sein kann, solche ewig langen Texte zu lesen oder sich gefühlt endlos die Computer-Stimme eines Screenreaders anzuhören.
Doch das ist nur eine Möglichkeit, Inhalte multimedial zu präsentieren. Verschiedene Inhalte passen gut zu verschiedenen Medien und verschiedene Menschen fühlen sich mit verschiedenen Medien unterschiedlich wohl.
Deshalb kann es sich sehr für euch und die Personen, die euch folgen, lohnen, wenn ihr überlegt, welche Medien am Besten zu euch passen und ob ihr wichtige Themen nicht auch auf verschiedene Wege präsentieren könnt.
Ihr könnt nur leisten, was ihr auch leisten könnt
Viele Personen, arbeiten wie ich in ihrer Freizeit aktivistisch oder politisch, schreiben privat auf Blogs oder Social Media und fühlen sich eventuell von all diesen ganzen Reglen überfordert.
Natürlich ist es wichtig, dass wir alle auf die Senkung von Barrieren achten, aber Barrieren senken ist ein Prozess. Es gibt nicht den Anspruch, dass ihr von heute auf morgen alles perfekt umsetzt. Nur den, dass wir alle an uns arbeiten.
Schaut einfach, was ihr nach und nach von den angesprochenen Tipps umsetzen könnt.
Und wenn der innere Schweinehund kommt und ihr überlegt, ob ihr wirklich noch eine lange Bildbeschreibung tippen müsst oder ihr für ein kurzes 30-sekündiges Video unbedingt Untertitel braucht, versucht doch einfach mal die Perspektive zu wechseln und euch in die Personen zu versetzen, die das Bild nicht sehen oder das Video nicht hören.
Niemensch will ausgeschlossen werden. Deshalb lasst uns alle zusammen die digitalen Barrieren nach und nach einreißen!